Geschichte

Die Sage vom Esslinger Postmichel 

Im Jahre 1491 wurde auf der Esslinger Steige, auf halbem Weg nach Stuttgart, der wohlhabender Esslinger Bürger Amandus Marchthaler im Alter von 60 Jahren erschlagen. Von seinem Mörder fehlte jede Spur.  

Zwei Jahre später fand der Postreiter Michel Banhard auf seinem täglichen Ritt zwischen Esslingen und Stuttgart einen wertvollen goldenen Siegelring mit eingraviertem Wappen, das er nicht kannte. Er wusste nicht, dass an dieser Stelle zwei Jahre zuvor der Mord stattgefunden hatte. Er steckte den Ring an seinen Finger um ihn sicher nach Esslingen zu bringen und dort als Fundstück abzugeben.  

Ecelan, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Wie es seine Gewohnheit war, stieg er bei seiner Rückkehr an der Poststation ab, versorgte sein Pferd und kehrte in der Postschenke ein und hatte den Ring völlig vergessen. 

Dort wurde der Ring sogleich an seiner Hand als Schmuckstück des Ermordeten erkannt.  

So wurde Michel beschuldigt, den Mord begangen und den Ring gestohlen zu haben.  
Er beteuerte mehrfach seine Unschuld. Trotzdem wurde er von den Stadtknechten im Wolfstorturm eingesperrt und dort monatelang gefangen gehalten und grausam gefoltert, bis er endlich ein Geständnis ablegte und daraufhin zum Tod durch das Henkerschwert verurteilt wurde.  

Ecelan, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Man setzte ihn auf seinem Pferd, hängte ihm sein Horn um und führte ihn über die Pliensaubrücke, vorbei am Pliensauturm, zum Richtplatz auf der anderen Neckarseite. 

Dort beteuerte er erneut seine Unschuld.  

Als letzten Wunsch erbat sich der Michel noch einmal auf seinem Horn blasen zu dürfen, und blies ein letztes Mal in sein Horn und kündigte an, dass er so lange jedes Jahr an Michaelis in Esslingen und Stuttgart sein Posthorn blasen würde, bis der wahre Mörder gefunden wäre. Und so geschah es:  

Am 29. September, dem Michaelistag, erwachte der Henker am schaurigen Klang eines Posthorns und ihm erschien ein gespenstischer Reiter, der seinen Kopf unter dem Arm trug. Auch andere Esslinger Bürger sahen den Geist des Postmichels jedes Jahr an Michaelis. Es kamen Zweifel auf, ob etwa doch ein Unschuldiger geköpft wurde. 
Etwa ein halbes Jahrhundert später kam ein alter Mann nach Esslingen und begab sich ins Spital. Als auch er in der folgenden Nacht den Postmichel auf seinem Schimmel spuken sah und mit seinem Posthorn blasen hörte, brach er zusammen, gab sich als Neffe Matthäus Wels und Erbe des Ermordeten zu erkennen und gestand den Mord an seinem Onkel. 

Ecelan, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Danach starb er entkräftet und von da an fand auch der Postmichel seine Ruhe und sein Horn schwieg von diesem Tage an.